Prof. Paul Lendvai zu Gast in der Burg

“Über die Heuchelei” heißt das neueste Werk von Prof. Paul Lendvai, dem Doyen der österreichischen Politpublizistik. Um sein Buch zu promoten, kam der bald 96-Jährige in den alten Festsaal der Burg und wurde dort fast wie ein Popstar empfangen. Großer, langer Auftrittsapplaus. Bis auf den letzten Platz ausverkauft war der Saal, und während der Professor langsam und leise redete, konnte man buchstäblich die legendäre Stecknadel fallenlassen hören. Lendvai, der sich selbst als “österreichischen Patrioten mit ungarischem Akzent” bezeichnete, gewährte einen großen Einblick in sein journalistisches Schaffen, sprach über Wahrheit in der Politik (“Wahrheit ist, was man anderen einreden kann”) und die Notwendigkeit, als Journalist unabhängig zu sein. Was ihm heute der “Standard”, für den er seit 22 Jahren schreibt, ermögliche, ganz im Gegensatz zu früher, als er in den 60er Jahren für die “Presse” schrieb und Probleme mit dem damaligen Chefredakteur Otto Schulmeister hatte, der seine (Lendvais) Beiträge immer wieder umschrieb. Dann spannte er einen großen Bogen der Weltpolitik von Chruschtschow (“der wusste genauso wenig wie Nehammer, wann er gestürzt werden würde”) über Kissinger und Merkel (für ihn die größte Politikerin Europas) bis Viktor Orban. Lendvai sprach von Ungarn als dem korruptesten Land Europas und meinte, dass der Reichtum in Ungarn vor 500 Jahren auf 60 Familien aufgeteilt war und heute nur auf den Orban-Clan. “Das ist schon ein Fortschritt”, bemerkte er sarkastisch.

Auch NÖ-SPÖ-Klubchef Hannes Weninger ließ sich ein Buch von Paul Lendvai signieren

Auf das Motto des Abends bzw. den Titel seines Buches, nämlich die “Heuchelei”, ging Lendvai jedoch nicht wirklich konkret ein. Nur so viel: Das Gegenteil von Heuchelei seien Geradlinigkeit und Offenheit. Als die Frage gestellt wurde, ob Frauen weniger heuchlerisch seien als Männer, da meinte Lendvai mit einem breiten Schmunzeln: “Ich bin für die Feministen und sage, Frauen sind weniger heuchlerisch als Männer.”

Nach der Veranstaltung rissen sich die Besucher regelrecht um das neue Lendvai-Buch, das wegging wie die warmen Semmeln, und um ein Autogramm des Verfassers. Der musste am nächsten Tag schon wieder für ein eineinhalbstündiges Interview in englischer Sprache für die BBC bereitstehen. Unglaublich, dieser Mann!